Sonntag, 26. Juni 2016

++4: Verfolgungswahn

Ich blicke mich panisch um. Afrikanische Dunkelheit. Mit schnellen Schritten mache ich mich wieder auf den Weg durch die nächtliche Ruhe von Daressalaam. Ich weiß, dass er irgendwo in der tropischen Hitze lauert. Er hat es auf mich abgesehen. Entkommen? Kaum möglich. Er ist überall und nirgends. Er könnte hinter jeder Kreuzung, in jeder noch so kleinen Gasse lauern. Er kommt aus dem Nichts und lebt auch dort. Ich drehe mich wieder um. Tansanische Dunkelheit. Einfach weitergehen. Er kann europäische Angst riechen. Ein Rauschen. Der nächstgelegene Busch erzittert und ein strammer Windzug streift meine jetzt zitternden weißen Knie. Lähmende Angst überkommt mich. Stillstand. Kraftlos. Machtlos. Planlos. Ich nehme all meinen Mut zusammen und komme doch von der Stelle. Weg. Nur noch weg. Ich renne durch die kaum beleuchteten Nebenstraßen der riesigen Stadt. Das Rauschen kommt immer näher. Nicht umdrehen. Keine Chance geben. Immer weiter, immer weiter. Oliver Kahn? Konzentrier dich lieber auf Wichtigeres!

Wie ein Kugelblitz biege ich links in die nächste Querstraße ab. Die Lichter der Häuser verschwimmen. Schneller, weiter, höher. Hinter einem kleinen Häuservorsprung ringe ich nach Luft. Selbst mitten in der Nacht ist die Hitze unerträglich. Erdrückend. Ernüchternd. Erlahmend. Ich wage einen Blick um die Häuserecke und erstarre vor Schreck. Da steht er. Ein einheimischer Hüne auf einem Motorrad. Er trägt eine Sonnenbrille. Sunglasses at night? Wie kann er damit überhaupt was sehen? Konzentrier dich lieber auf Wichtigeres!

Aber es gibt kein Entkommen mehr. Und er spürt das – meine Angst. Er genießt die aussichtslose Lage seines Opfers. Ganz langsam nimmt er die Brille ab. Ich kann die unbeherrschbare Macht in seinen Augen erkennen. Er holt tief Luft. Das Ende naht. Ich muss mich meinem Schicksal ergeben. Er ist kurz davor die alles entscheidende Frage zu stellen. Willst du mich heiraten? Konzentrier dich lieber … ach egal, schon zu spät!

Ich trete aus meiner Ecke hervor und stelle mich dem Riesen. Mitten auf der nichtbefahrenen Straße stehen wir uns gegenüber. Der Showdown. Der Richter und sein Henker. Nur wer ist wer? Ich halte seinem Blick nicht stand. Schaue zu Boden. Ein letzter Atemzug. Unausweichlich kommt die Frage, die über mein Überleben entscheiden wird, immer näher. Keine falsche Bewegung. Ich halte die Luft an. Vielleicht geschieht ein Wunder. Er hingegen atmet langsam aus. Mir rutscht das Herz in die Hose. Ich bete innerlich um Vergebung. Zu spät! Das Rauschen ist verstummt. Stille. Das Ende.

 „Taxi?“


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