Dienstag, 6. Oktober 2015

"Tage in der Hölle" - Area 47 Kritiker packt aus

Es ist der Ort in Europa für Adrenalin-Junkies, für Outdoor-Fanatiker, für Wasserratten und Draufgänger - die Area 47 im Ötztal. Schon am Eingang wird klar, hier sind nur die ganz Versierten am Start. Wahre Instagram-Profis rennen mit GoPros durch die Gegend. Ob auf dem Helm, mit weit ausgestrecktem Selfie-Stick, per Gurt an der Brust oder (fast zu einfach) in der Hand - die Actioncam darf in diesem Urlaub also nicht fehlen.

Von überall hört man schallende Freudenschreie. Ob von ganz oben aus dem Hochseilgarten, dem höchsten Garten der Welt, ob von ganz unten aus den Tiefen der Ötztaler Ache beim Rafting oder bei einer der ganz nassen Veranstaltungen in der Water Area. Wer slided (ja, ohne Anglizismen kommt man im "Ultimate Outdoor Playground" nicht aus), dived, flyed, drived oder geblobbed wird, der hat unglaublichen Spaß und will nicht mehr weg. Zwar gehören blaue Flecken zum Caving, Rafting, Canyoning und Climbing dazu, aber das nimmt der Adrenalin-Suchti mit einem lässigen Augenzwinkern hin. No pain, no gain - scheint das Motto zu sein.

Jeder hat Spaß, jeder will mehr, jeder bekommt nicht genug - doch exklusiv mit uns spricht ein Gegner der Adrenalin-Bewegung im Ötztal. Da er anonym bleiben will, nennen wir ihn einfach Hannes S. aus R. lebend in W. , dazu noch Fan von S04. Jener Hannes (!!!) kann den Hype nicht verstehen.

Wer will denn freiwillig in eine dunkle Hö(h/l)le absteigen, sich dort über 100 Meter von wortkargen Ranger abseilen lassen und dann durch bitterkaltes Wasser, fast abstürzend, an alten Zugschienen zum rettenden Licht hangeln? Den unglaublichen Muskelkater mal ignorierend, aber das ist doch kein Spaß.

Hannes' Kritik geht nicht nur an den Park selbst, sondern auch an einige Pensionen im Umkreis. Seiner Meinung nach ist es nicht tragbar, dass ein Vampir ein Hotel leiten darf. Eine unterklassige Unterkunft, in der es bei Vollmond immer Knoblauch gibt - man fragt sich, ob der Koch nicht der wahre Held ist. Er versucht offensichtlich die Gäste zu retten oder hat keine Ahnung was Vollmond und Vampire miteinander zu tun haben. Keine Ahnung hat auch die Servicefachkraft hinter der Bar. Sie verkauft unter dem Namen "Großmutter" ein fast tödliches Getränk, welches ein Mitglied der Redaktion dieses Blogs fast um die Ecke gebracht hätte - und das an seinem eigentlichen Ehrentag.

Zurück in der Area leckt Hannes seine ersten Wunden. In einem Durst nach gutem Fußball - als Schalke Fan wird dieser ja kaum gestillt - geht es für den sympatischen Schwaben in die Beach-Soccer-Area. Der Versuch von Copacabana-Futebol geht im österreichischen Sand unter. Harte Zweikämpfe, Blutgrätschen und Weitschüsse lassen technisch-versierte Ballzauberer am langen Selfie-Stick hängen. Beim Beach Volleyball das gleiche Bild. Fans von three-touch-smash-Taktik müssen sich dem Lieber-mal-den-Ball-über's-Netz-gurken-Prinzip hingeben.

'Autofahren', denkt sich unser Reutlinger-Kritker, 'das ist entspannend und da gibt es sicher nichts auszusetzen'. Gedacht getan, meldet sich Hannes in der "Offroad Area" an. Der Schreck vor dem Polaris Buggy aka Golfcart on Steriods ist groß: 44 PS, Hinterachs-Einzelradaufhängung (IRS), lange Federwege, die ein sehr sicheres Fahrgefühl vermitteln sollen? Das Ding mit 163 kg Eigengewicht und einer Bodenfreiheit von lediglich 28 cm ist auf der Strecke nicht zu handlen. Der Überrollbügel scheint wichtiger zu sein als alles andere. Das Coaching des Latino-Mitarbeiters ist unter aller *** und seine Mathematik Fähigkeiten schließen sich dessen an.

Beim MX Freeride E zeigt sich das gleiche Prinzip nur auf zwei Rädern. Der Untergrund ist unmöglich zu befahren. Allzu oft ist man gefangen in Spurrillen und küsst folglich den harten Untergrund. Dies zwar spektakulär auf Video festgehalten, aber sensationell heißt nicht gleichbedeutend wohltuend.

Der schon geschundene Körper bekommt in der Area keine Rast. Zu Zeiten, zu denen Feierwütige nach Hause kommen, geht es für die Adrenalin-Jagenden aus den Federn. Das Wetter ist zwar wieder strahlend schön, die Aussichten für den wasserscheuen Weltenbummler nicht rosig. Rafting steht an. Übersetzt: Ein Haufen von Leuten setzt sich in ein Schlauchboot und fährt unter militärischen Anweisungen (LINKS VORWÄRTS; RECHTS RÜCKWARTS; TEQUILA; ALLE INS BOOT) todesmutig einen Fluss mit Stromschnellen hinunter. Die wunderschöne Aussicht auf die Landschaft Tirols wird getrübt von - ja, wie soll man das jetzt sagen - Wasser. Bitterkaltem noch dazu. Da strahlt auch der Neopren-Anzug keine Wärme mehr aus.

Jener Chlorbutadien-Kautschuk ist hier nicht wegzudenken. Auch beim Canyoning muss man den Anzug, der davor von der Hälfte aller Besucher schon getragen wurde, anziehen. Manche Personen reinigen ihre Robe nach der Benutzung mit Lauge, aber der Tragekomfort ist eingeschränkt. Wie muss man sich nun Canyoning vorstellen? Man wandert durch ein Flusslauf. Schliert die Steine entlang, springt von Kippen, rutscht, watet, seilt sich ab und an ab und an. Was macht man nicht alles für die gute Videoaufnahme?

Es scheint als ginge es hier in der Area um nichts anderes. Hobby Steven Spielbergs soweit das Auge reicht. Auf Rutschen, im Wasser, fliegend, stützend - einfach überall. Auch unser Möchtegern Regisseur aus Ruanda macht seine Aufnahmen. Wenn schon quälen, dann so, dass andere Leute es sehen können. Allerdings unterschätzt er den größten Feind der Filmindustrie: den leeren Akku.

Das quälend lange Wochenende neigt sich dem Ende zu. Die Video-Clips sind sortiert. Diese muss jetzt nur noch jemand bearbeiten und schneiden und sichten und importieren und exportieren und Stunden damit verbringen. Am besten jemand, der nicht mobil ist und zu jeder Zeit verfügbar. So eine Art bewegungsunfähiger Student mit physischen (oder doch psychischen?) Problemen.

Hannes für seinen Teil will nur noch nach Hause. Länger hätte er es dort nicht ausgehalten. Ein bisschen zu viel Action für den schwäbischen Schalke-Sympathisanten.

"Das ist was für Jonge!", lässt sich der wissende Weltenbummler zitieren. Da können wir vom Blogger Redaktionsteam nur recht geben.

Dem GoPro-Druck nachgebend hier der Trailer des über 30 Minuten Actionfilms. In den Hauptrollen das Blogger Team plus family and friends: