Samstag, 10. Februar 2018

Monday Night Super Bowl

Als Vollzeitarbeitnehmer muss man einige bittere Pillen schlucken. Schlimmer noch als unter der Dusche stetig zu heulen oder konstante Augenringe durch Schlafmangel ist das, was mir am Montag blühte. Das größte Sportevent des Jahres stieg in den unvereinigten Staaten. Worin man sich dort – trotz politischer Gräben, die größer sind als das Venture Capital Portfolio der Vorwerk Direct Selling Ventures GmbH – allerdings einig ist: der Super Bowl muss zu amerikanischer Primetime laufen. Da schaut der europäische Absatzmarkt schockiert in die Röhre, denn die Sendezeiten sind für gewöhnliche Arbeitnehmer nicht zu realisieren. Für einen Tag Urlaub nehmen, bin ich zu schwäbisch. Um das Ergebnis am nächsten Morgen schlicht im Internet zu lesen, bin ich zu sehr Sportfanatiker. Die logische Konsequenz daraus ist, dass ich – frei nach HIMYM, Staffel 2, Folge 14 – versuchen werde die Schlacht zwischen Patriots und Eagles am Abend danach im Re-Live zu genießen. Die offensichtliche Problemstellung: ich arbeite als Journalist und bin borderline handysüchtig/medienaffin. Ein Spießroutenlauf in vier Akten.

Akt 1: Der Weg zur Arbeit 


Die Kopfhörer, die mir im Verlauf der Woche kaputtgegangen sind, funktionieren zum Glück am Montag noch und sollen mich im ersten Teil dieser Odyssee von sportlichem Straßenbahn-Talk fernhalten. Eine allzu berechtige Angst, da hinter mir in der 7 zwei Jugendliche komische Andeutungen von Wurfbewegungen ausführen, die auf passende Wide Receiver schließen lassen. Ich stiere aus dem Fenster und hoffe keine vorbeifahrende, randalierende Fangruppe zu erkennen. Den Umstieg auf eine andere Bahnlinie, die mich direkt zum Friesenplatz bringen könnte, verweigere ich. Beim Wechsel der Plattformen müsste ich an sage und schreibe drei Info-Videoscreens vorbei. Jetzt ist T-Mobile nicht wirklich als American Football Verfechter bekannt, aber an diesem Tag gilt für mich „jedes noch so kleine Risiko ist ein Risiko zu viel“.

Mit diesem Mantra im Kopf wähle ich auf der Suche nach Frühstück auch nicht Hipsterschuppen Coffee Fellows. Ein random offline Bäcker soll es sein. Diesen betritt zusammen mit mir die schönste Frau der Welt. „Hoffentlich spricht die jetzt nicht gleich über Football“, denke ich zum ersten Mal in meinem Leben. Tut sie nicht, wobei sich herausstellt, dass sie an diesem Montagmorgen auch rhetorisch nicht auf der Höhe ist, um hier Akzente zu setzen. Endlich erblicke ich im Nebel den Dom, der majestätisch auf die Friesenstraße blickt, wie Fletcher Cox nach einem Tackle den Gegenspieler beäugt.

Akt 2: Small Talk Issues 


Im Büro angekommen setze ich alles auf eine Karte: Ehrlichkeit. Ich erkläre meine missliche Lage und erhoffe Verständnis, dass ich weder mein Handy aus dem Offline-Modus verfrachten kann noch die F.A.Z.-Startseite besuchen darf. Genehmigt. Es stellt sich allerdings heraus, dass die Eltern meiner Chefredakteurin aus Boston kommen. Schock! Sie interessiere sich aber nicht für Football, sondern für Baseball. Glück! Dafür setzt es von der anderen Redakteurin einen gehörigen Schuss in Richtung Spoiler. „Ich weiß, wer heult“, süffisiert sie mit Blick auf ihren Bildschirm, der wohl in der Lage ist Nachrichten anzuzeigen.

Schock! In meinem Kopf spielen sich in diesem Moment tausend Gedankengänge gleichzeitig ab: Sie studierte Kunst und Musik hat dadurch auf den ersten Blick keine Ahnung von Sport. #feminism Im Stadion sind 67.612 Zuschauer plus Mannschaften und Medienvertreter. Alle hätten theoretisch nach der letzten Aktion des Spiels einen Grund zum Heulen. Wer unter diesen ist aber meiner Kollegin bekannt? Es kann nur Gisele Bündchen sein. Schock! Aber Mooooooment: Frau Bündchen, in ihrer Rolle als Ehefrau des wichtigsten Spielers auf dem Feld, ist einem solchen Druck ausgesetzt, dass sie egal wie es ausgeht heulen wird. Entweder ist ihr Herzensgatte ohne Debatte der größte Spieler aller Zeiten oder er hat sich eine unfassbar schmerzhafte Niederlage geleistet. Glück!

Akt 3: Ein Journalist, der nichts wissen will 


Wer nun denkt, dass durch diese Analyse mein Arbeitstag einfacher werden würde, der irrt. Zwar können meine Kolleginnen mir nichts anhaben, außer sie sagen stumpf das Ergebnis. Falls dies passieren würde, könnten die sich einen neuen Volontär suchen. (jaja, lernt halt selbst, wie man Typo3 bedient). Meiner Drohung zum Trotz kommen weitere Herausforderungen auf mich zu. Ich habe einen Termin mit Bertram Kandziora. Der ist seit 2005 Vorstandsvorsitzender der Firma Stihl. Die schwäbische Kommanditgesellschaft, aus der sich die Familie zwar operativ zurückgezogen hat, aber weiterhin in der Holding vertreten ist, unterstützt uramerikanische Dinge wie die Timbersports WM als Hauptsponsor. „Hoffentlich redet mein Interviewpartner nicht über Sport“, denke ich zum ersten Mal in meinem Leben. Er tut es nicht. Glück!

Der letzte Schock des dritten Akts ist mein unfreiwilliger Besuch auf einer Internetplattform, die sich facebook schimpft. Zur Erstellung eines Internetartikels ist es leider durchaus nötig, auf Bildmaterial zurückzugreifen, das sich nicht im Archiv des F.A.Z.-Fachverlags befindet. Unfassbare Fortuna, dass in meinem Feed bei der Suche nach einem Bild von irgendeiner Familienstiftung kein Pigskin durch die Gegend fliegt. Ganz knapp am Ergebnis vorbeigeschrammt.

Akt 4: Take it to the house 


Von einem Zwischenerfolg nach 8 Stunden Arbeitstag zu sprechen ist Kokolores. Heute zählt nur Ertrag auf ganzer Ebene und gleichbedeutend kein ergebnisreiches Straucheln auf dem Heimweg. Die musikalische Unterstützung dafür ist gesichert, da mein Handy im Offline-Modus den Tag über wahrhaftig drei Prozentpunkte Batterieleistung aufgegeben hat. Wieder spare ich mir den Gang zur U-Bahn und laufe die eine Haltestelle weiter statt mich Monitoren auszusetzten, die Neuigkeiten anzeigen.

Der Rückweg, so sehr man ihn im Vergleich zur journalistischen Tagesarbeit auch autistisch in Mr. Robot Manier gestalten kann (die dritte Staffel ist zudem sehr empfehlenswert), ist nicht zu unterschätzen. Jetzt sind nämlich die Leute unterwegs, die heute Morgen zu müde waren einen random offline Bäcker zu besuchen, da sie das Spiel der Spiele live verfolgt haben. Wer ist nicht schon einmal an einem Hipster-Patriot-Fan vorbeigelaufen? Die gibt’s leider allmählich in der Domstadt. Und diese Spezies trägt die Mütze „meines Vereins“ wissentlich an stolzen Tagen der Franchise. Also wenn, dann heute.

Seit meinem Eintritt in die Welt der Ganztagsarbeitenden war ich noch nie so froh den Schlüssel doppelt umzudrehen und im Flur zu stehen. Die verschlossene Türe eliminiert nämlich die letzte Hürde, die einen schlaflose Nächte kosten kann: Mitbewohner*innen. Überglücklich realisiere ich, welchen Preis ich hier gewonnen habe. Er ist größer als die Vince Lombardi Trophy. Ich habe gegen die gesamte Gesellschaft gewonnen! In einer Zeit, die schnelllebiger ist als je zuvor, stemmte ich mich gegen Nachrichtenzyklen, Videoleinwände, Small Talk und was der Gegner mehr sein können. Klar, ein offline Leben ist möglich, macht aber paranoid. Ich habe 58 Nachrichten verpasst und einige Mails und einen Haufen Instagram-Bilder. Ehrliches Resümee: Nichts davon war lebenswichtig. Ein Fazit aus der Glasfaserkabel-Hölle.


Zum Spiel werde ich mich hier nicht äußern. Das muss man selbst gesehen haben. Am besten, wenn man nicht weiß, wie es ausgeht.