Dienstag, 7. Juni 2016

++1: 10 Winks, die man in Tansania braucht


1. Reißfesten Geduldsfaden
Ufff, hier ist alles ein Ticken langsamer. Oder zwei. Oder drei. Sekretärinnen schlafen beispielsweise bei der Arbeit auf ihrem Stuhl ein (Bilder versuche ich nachzuliefern). Ablenkung gehört hier irgendwie zur Arbeit dazu wie Schreibfehler auf Bürgerbewegungsseiten in Deutschland. Vorarbeit und Vorbereitung bleiben des Öfteren dezent auf der Strecke liegen. Da heißt es Effektivität hintenanstellen und einfach ein bisschen „Chillaxen“. Auch wenn man das schon über das gesamte Wochenende erledigt hat.

2. Antizipation 
So nennt es zumindest der eloquente Gymnasiast. Im Straßenverkehr in der Metropole Dar ist die vorausschauende Sicht- und Bewegungsweise förmlich überlebenswichtig. Auch als Fußgänger oder insbesondere als jener. Ein souveränes Überqueren der Straße braucht Geschick und das nötige Talent. Kann man nicht lernen. Da braucht’s Erfahrungswerte. Da muss man dann auch mal mit dem Unmöglichen rechnen. Unter Druck Höchstleistungen abliefern. Sprinten aber dringend umgehen – sieht einfach dumm aus. Als wäre man nicht von hier.

3. Zweite Kreditkarte 
Jaja, das liebe Geld. Auch wenn man als normaler tansanischer Bürger wenig davon braucht bzw. hat, muss der gemeine europäische Praktikant seine Gastfamilie bezahlen. Die ist ursprünglich aus Schwaben? Zumindest ist die Gastmutter nicht auf den Kopf gefallen und will im Monat für wenige Quadratmeter mehr als der Durchschnittsbürger im Jahr verdient. Kein Wunder also, dass da die erste schwäbische Kreditkarte am Automaten leidet und im Endeffekt den Dienst verweigert. Wenn man zwei Mal den Maximalbetrag der gesamten Bank abheben möchte, kommen eben Probleme auf.

4. Sprachkenntnisse 
Diese Probleme sind dann mit Händen und Füßen zu klären. (Bildungsauftrag) In Tansania werden nämlich über 120 Sprachen gesprochen. Im Gegensatz zu vielen anderen ehemaligen Kolonien ist das Englische über die Zeit der Unabhängigkeit des Landes unwichtiger geworden. Swahili ist also die Zunge der Zeit und damit muss man sich abfinden. Oder sich weigern und sauer werden. Im Alltag eines Journalisten, der für einen Swahili-TV-Sender arbeitet, bietet das viel Potential für Reibungspunkte. „Einmal übersetzten bitte …“

5. Festes Schuhwerk
Hin und wieder gibt es hier sogar so etwas wie Regen. Dann werden die unbefestigten Nebenstraßen in der Möchtegern-Hauptstadt noch unbefestigter. In schwachen Momenten frage ich mich, warum meine Dummheit Jordans mit in diese Plörre mitgenommen habe. Imprägniert hin oder her. Kickgame-Selbstmord, so wird das in Fachkreisen genannt. Da bleibt der Style auf der Strecke wie ein Nichtantizipierfähiger im Straßenverkehr.

6. Kulinarisch zurückstecken
Jaja, das liebe Essen. Es ist unfassbar billig, das muss man konstatieren. Das ist toll. Auf der Kehrseite ist es super schwer im neuen Großstadtdschungel um die Ecke kulinarisch Wertvolles zu finden. Da streikt der Magen gut und gerne ein paar Tage … hoffentlich keine Wochen … aber das kann man bei der vertrauenswürdigen Apotheke um die Ecke sofort bekämpfen. Darf man hier in der Öffentlichkeit trinken? Egal, billiges Hühnerfleisch ist auch was. Vor allem zusammen mit Ei und Pommes. Kurioses Gemenge, da sich bei dieser Mischung das Vorstadium des Tieres mit dem Endstadium zusammenfindet. Whimsical.

7. Eigeninitiative 
Schließt sich in der Logikkette an Punkt eins an, beißt sich aber mit Punkt vier. Wer seinen halben Arbeitstag auf facebook verbringt, der findet kaum Zeit an andere zu denken. Also an gut 4000 „Freunde“ denken kann man auf jeden Fall. Das steht außer Frage. Aber wenn sonst schon kaum sinnvolle Zeitvertreibe da sind, da gibt es für einen der-Sprache-nicht-mächtigen Deutschen wenig auf der Agenda. Dennoch gibt es hier einen kleinen Makel bei der Arbeitsbeschaffung. Wenn man überambitionierter Schwabe ist, dann muss man die übriggebliebenen Kleinigkeiten natürlich schneller abarbeiten als andere… allein schon der großen Klappe wegen. Für eigene Projekte bräuchte es Lobby, Übersetzer, lokales Wissen und Zeit. Eines davon habe ich. Die anderen Punkte bräuchten das ebenfalls. Nur für viel länger. Aber da sind die kommenden zehn Wochen auch wieder zu wenig.

8. AirCon-Resistenz 
Verlässt man die meist unbefestigten Nebenstraßen der Stadt und findet sich in einem Office wieder, läuft man zumeist beim Überqueren der Türschwelle gegen eine Wand. Auf der einen Seite geht es in die Eiszeit und in die andere Richtung in den Backofen. Das ist Balsam für die Atemwege und das Immunsystem. Insbesondere wenn man davor schon 30 Minuten durch den Straßenverkehr antizipiert und davon ganz außer Atem ist.

9. Gutes Buch 
Akzeptiert man, dass Punkt sieben effektiv fast nicht zu erreichen ist, braucht es Gegenmaßnahmen. Youtuber gibt es zwar viele, aber bei Zeiten fällt hier auch mal der Strom aus oder das Internet (ja, das gibt es hier im Pleistozän von Kwanza TV reichlich) findet keinen Zugriff. Da bleibt nur eins zum Zeittotschlagen: ein Buch. Leider habe ich gerade keines und die, die bei meiner Gastfamilie liegen sind alle auf Norwegisch (andere Geschichte). Somit speichere ich mir gesamte Websiten auf meinen PC und lese online Dokumentationen offline. „Supernatural“ ist übrigens eine fantastische Serie. Fängt die EM bald an? Bars gibt’s hier nämlich genug.

10. Uraltes Fußballtrikot 
Das gehört hier einfach dazu. Wenn man zur Arbeit kommt, auf der Straße antizipiert, Busse fährt oder einfach „Chillaxed“ braucht man ein ewig aus der Mode gekommenes Hemd einer vorzugsweise europäischen Fußballmannschaft. Ob man die Stadt geschweige denn die Spieler kennt, ist egal. Hauptsache man hat eines dieser Kleidungsstücke aus vergangenen Sportjahrzehnten. Leider bin ich noch auf keinen Markt bekommen, wo es solche Trikots zu kaufen gibt. Da bin ich mit meinem Mainz Trikot – wie so häufig in diesem Land – alleine auf weiter, weißer Flur. Aber das ist okay. Am Ende erkennt man mich eh. Ich sprinte nämlich beim Überqueren der Straße fast täglich.


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