Montag, 28. März 2016

+4: The Executioner – der boxende Taxifahrer

das Leben eines Schwaben in Namibia könnte so einfach sein… 

Essen, Klamotten, Transportwesen, Reisen, Unterkünfte – alles super billig! Für uns süße Schnäppchen-Suchende aus dem Süden ein wahres Paradies. Aber die Bausparvertrag-ist-das-wichtigste-Lebenseinstellung kann durchaus seine Nachteile haben. Da fängt man an nach Taxifahrten „einmal quer durch die Stadt“ für umgerechnet 1,50 Euro um den Preis zu feilschen. Läden in der Mall, die annährend europäische Billig-Preise anbieten, meidet der gemeine Süddeutsche und sucht nach DEM SCHNÄPPCHEN. Da ist dem gewöhnlichen Schwaben kein Mittel zu schade. Wer den namibischen Dollar nicht ehrt, der ist auch richtiges Geld nicht wert.

Meine erbsenzählerische Strategie werde ich nach diesem Wochenende aber gehörig überdenken. Die innere, geizige Maultasche in mir muss ich schnellstmöglich loswerden. In der Hauptstadt Namibias treibt nämlich ein Henker sein Unwesen. Frei nach Midnight Meat Train fährt der Executioner im Taxi seine Runden durch die Stadt. Wenn er damit fertig ist, schlägt Walter Kautondokwa in der ersten Runde von Boxkämpfen Gegner KO. Der gute Walter ist nämlich ein ganz einzigartiger Zeitgenosse: ein taxifahrender Profi-Boxer. Sein Kampfrekord: 11 Kämpfe, 11 Siege, 8 durch KO. Da sind schon erfahrenere Feilscher als ich untergegangen.

Unser erstes Treffen kurz chronologisch zusammengefasst:

… Vorhang auf …

Venue: Windhoek Country Club

Anlass: 26th Independence Celebration der Boxing und Fitness Akademie „Sunshine Production” am 26.03.2016

Das Bühnenbild zeigt einen Raum, in dessen Mitte ein Boxring steht. Um den Ring Stühle und Tische mit – zumeist schwarzen – Zuschauern. Ein paar weiße Gesichter lassen sich ebenfalls blicken. Auch die High Society ist dabei: Diplomaten, Promoter, Luder (darf man das so schreiben? Oder heißt es „zwischen-den-Runden-unnötig-hochhaltende-Schilder-Frau“), Sportler, Mafiosos und was der Boxfans mehr sind.

Uhrzeit: 20:57 Uhr

Felix Mwamaso im Nirvana, oder
besser: Dieser Moment, wenn du am
Ostermontag arbeiten musst. 
Felix Mwamaso schlägt krachend auf die Knie. Verwirrt, verdattert, sein Blick verloren. Der Henker blickt ihn nur kurz an, bevor ihn der Ringrichter in seine Ecke schickt. Mwamaso, Profi-Boxer aus Malawi, hinterfragt in diesen Sekunden gerade seinen Traumjob „bisschen Profiboxen und so“. Der Referee fragt ihn währenddessen wie viele Finger er ihn die Luft reckt. Felix errät die richtige Anzahl und gewinnt mit dieser korrekten Antwort weitere laaaaaange Augenblicke, in denen er gegen Walter Kautondokwa in Deckung gehen muss. Ein paar Sekunden- bzw. Boxschläge später prallt Mwamaso wieder scherzhaft auf die harten Bretter des Rings.

Unverhandelbar: The Executioner bei der Arbeit
Schrecklich, schwach, sein Blick schockiert. Nach zwei Minuten und 19 Sekunden in der ersten
Runde ist der Arbeitstag der beiden Athleten vorbei. Der Henker richtet zum elften Mal im elften Kampf seinen Gegner fast zu Tode. Der Country Club bebt. Das Publikum huldigt seinen Henker mit Wonne. Mittelgewichtler Walter „The Executioner“ Kautondokwa macht seinem Namen in diesen Momenten alle Ehre. Der Richter und sein Henker? Kautondokwa ist heute beides in einer Person. Einen Kampf gab es nicht. Es war lediglich ein Scharfrichter, der seine Arbeit grundsolide und ohne zu zögern ausführt. Hände nach oben, Applaus für den Sieger. Ein kurzes Lächeln umspielt seine harten, kantigen Gesichtszüge, bevor der Executioner wieder unverhandelbar wirkt.


Des Todes: Mwamasos letzter, flehender Blick gen Himmel

Uhrzeit: 21:00 Uhr

Ein bleicher, weißer Fotograf kratzt sich am Kopf. „Hat er ein Taxameter?“, denkt sich der Schwabe kopfschüttelnd. Um ihn herum tobt die Menge und feiert ihren namibischen Box-Henker. „Jetzt lachen sie noch“, sinniert der Süddeutsche. „Die sind wohl noch nie in seinem Taxi gelandet.“

… Einschub …
Zu Boden gebracht: Herausforderer hat Allan Kamote (TAN)  gegen Blue Machine Indongo (NAM) wenig Chancen
Ganz ehrlich, wie soll man entspannt in einem Taxi fahren, das von einem Henker gefahren wird. Einem boxenden Henker noch dazu! Die Verkehrssituation hier in den Untiefen des Linksverkehrs ist eh schon unüberschaubar. Wer wirklich einen Führerschein hat, verrät dir jetzt das Licht! Bis dato habe ich persönlich alle Fahrten mit den Taxen (Privatautos mit irgendwelchen Personen drin. Weit weg von TÜV und Personenbeförderungsschein) überlebt. … ABER … man stelle sich vor man landet im Taxi von Walter Kautondokwa – hauptberuflich Henker. Was soll man tun?

… die Analyse der Ausweglosigkeit …

Du steigst ein. Du erkennst deinen Henker. Was nun?
  • Steigst du aus, machst du dich a) lächerlich („Was ist das für ein Typ? Steigt ein und wieder aus … peinlich“) und/oder b) der Executioner wird sauer, weil ihm sein Geschäft durch die Lappen geht. Dann kann es gut sein, dass er, nachdem du ausgestiegen bist, seinem Hauptberuf nachgeht und dir gehörig eins auf den Deckel gibt. Fazit: schlechte Chancen für Normalsterbliche
  • Du sagst ihm wo du hin willst. So ungefähr. Nicht die genaue Adresse, weil sonst weiß er, wo dein Haus wohnt. Das möchtest du auch nicht. Er fährt und du sagst keinen Ton. Jede falsche Bemerkung könnte er gegen dich verwenden – psychisch wie physisch. Angekommen, fragst du ihn höflichst nach dem Preis und auch wenn dieser viel zu hoch (auf schwäbisch: n paar Cent mehr) ist, bezahlst du ohne Murren. Fazit: sehr erfolgversprechend, allerdings muss man vom Ausstiegspunkt noch nach Hause laufen
  • Pffff, ein dummer Boxer! Den steckst du rhetorisch und mit mehr Gehirnzellen ausgestattet in die Intellektuelle-Tasche. Du redest ihn in Grund und Boden. Erklärst ihm die neusten Techniken seines eigenen Sports und gibst dich als Experten aus. Boxen wurde damals in Europa erfunden – das macht dich zum Chef! Er Nichts! Vor deinem Gate angekommen wirfst du ihm seine 20 Tacken hin und machst dich schnell auf den Weg nach drinnen. Fazit: du bist angekommen. Glückwunsch! Ziel ist vorerst erreicht. Verfolgungswahn könnte allerdings folgen.
  • Du benimmst dich wie ein waschechter Gauner. Ein Schwabe sondergleichen, wenn man so will. Dein Englisch schmückst du mit unübersetzbaren Ausdrücken wie „Everybody does as he pleases“ oder „What’s goes?!“. Am Ende bleibt dir nichts anderes übrig als dich über den Preis der Fahrt zu beschweren. Dann heißt es: Round 1, Fight! Fazit: Das ist ein richtiger Badass-Move, der viel Positives birgt. Du bekommst die Chance – im wahrsten Sinne des Wortes – um den Preis zu kämpfen. Kannst du der Erste sein? Kannst du den Henker schlagen?
  • Ein netter Plausch hat noch keinem geschadet, denkst du dir. Man sollte auch Henkern mit gewissem Respekt begegnen. Ein guter Vorsatz. Du bemerkst, dass der Walter doch nicht ein solches Monstrum ist. Genial, ein neuer Freund, der dich auch mal im Township beschützen kann. Aber das Fazit bleibt negativ behaftet: Klasse! Du findest einen neuen Freund, aber das ist mit enormen Pflichten verbunden. Willst du wirklich der Trainingseinladung nachgehen? Kannst du dich mit deinen neuen Freunden bei Barschlägereien behaupten?

… Zusammenfassung …

Es lässt sich sagen, dass der boxende Taxifahrer eine ernstzunehmende Gefahr für den Schwaben darstellt. Fast so schlimm wie spontane Preisstürze, auf die man sich nicht richtig vorbereiten kann. Wer kennt das Gefühl nicht, wenn man tags zuvor einen Schlussverkauf verballert hat und Gerda und Herbert aus Westerheim im Bus zur Arbeit von „70% und mehr“ schwärmen? Man fühlt sich verfolgt. Schaut in jede Gasse, um dort einen Flohmarkt zu finden. Schnäppchenangebote verfolgen dich im Schlaf. So geht es mir, wenn ich in dieser Stadt nach einem Taxi Ausschau halte. Überall sehe ich Walter Kautondokwa. Wahlweise mit Boxhandschuhen oder mit Fleischerhaken. Ich habe wohl nur eine Chance meine Situation zu verbessern. Ich muss mich dem „Executioner“ stellen und den Fluch bekämpfen oder Schnäppchen finden, die so billig sind, dass ich bei der nächsten Fahrt nicht das Verlangen nach Preisverhandlungen habe.

Ende


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