… das Leben eines Schwaben in Namibia könnte so einfach
sein…
Essen, Klamotten, Transportwesen, Reisen, Unterkünfte – alles super
billig! Für uns süße Schnäppchen-Suchende aus dem Süden ein wahres Paradies. Aber
die Bausparvertrag-ist-das-wichtigste-Lebenseinstellung kann durchaus seine
Nachteile haben. Da fängt man an nach Taxifahrten „einmal quer durch die Stadt“
für umgerechnet 1,50 Euro um den Preis zu feilschen. Läden in der Mall, die
annährend europäische Billig-Preise anbieten, meidet der gemeine Süddeutsche
und sucht nach DEM SCHNÄPPCHEN. Da ist dem gewöhnlichen Schwaben kein Mittel zu
schade. Wer den namibischen Dollar nicht ehrt, der ist auch richtiges Geld
nicht wert.
Meine erbsenzählerische Strategie werde ich nach diesem
Wochenende aber gehörig überdenken. Die innere, geizige Maultasche in mir muss
ich schnellstmöglich loswerden. In der Hauptstadt Namibias treibt nämlich ein
Henker sein Unwesen. Frei nach Midnight Meat Train fährt der Executioner im
Taxi seine Runden durch die Stadt. Wenn er damit fertig ist, schlägt Walter
Kautondokwa in der ersten Runde von Boxkämpfen Gegner KO. Der gute Walter
ist nämlich ein ganz einzigartiger Zeitgenosse: ein taxifahrender Profi-Boxer. Sein
Kampfrekord: 11 Kämpfe, 11 Siege, 8 durch KO. Da sind schon erfahrenere
Feilscher als ich untergegangen.
Unser erstes Treffen kurz chronologisch
zusammengefasst:
… Vorhang auf …
Venue: Windhoek Country Club
Anlass: 26th
Independence Celebration der Boxing und Fitness Akademie „Sunshine Production” am
26.03.2016
Das Bühnenbild zeigt einen Raum, in dessen Mitte ein Boxring
steht. Um den Ring Stühle und Tische mit – zumeist schwarzen – Zuschauern. Ein
paar weiße Gesichter lassen sich ebenfalls blicken. Auch die High Society ist
dabei: Diplomaten, Promoter, Luder (darf man das so schreiben? Oder heißt es
„zwischen-den-Runden-unnötig-hochhaltende-Schilder-Frau“), Sportler, Mafiosos
und was der Boxfans mehr sind.
Uhrzeit: 20:57 Uhr
Felix Mwamaso im Nirvana, oder besser: Dieser Moment, wenn du am Ostermontag arbeiten musst. |
Unverhandelbar: The Executioner bei der Arbeit |
Runde ist der Arbeitstag der beiden Athleten vorbei. Der Henker richtet zum elften Mal im elften Kampf seinen Gegner fast zu Tode. Der Country Club bebt. Das Publikum huldigt seinen Henker mit Wonne. Mittelgewichtler Walter „The Executioner“ Kautondokwa macht seinem Namen in diesen Momenten alle Ehre. Der Richter und sein Henker? Kautondokwa ist heute beides in einer Person. Einen Kampf gab es nicht. Es war lediglich ein Scharfrichter, der seine Arbeit grundsolide und ohne zu zögern ausführt. Hände nach oben, Applaus für den Sieger. Ein kurzes Lächeln umspielt seine harten, kantigen Gesichtszüge, bevor der Executioner wieder unverhandelbar wirkt.
Des Todes: Mwamasos letzter, flehender Blick gen Himmel |
Uhrzeit: 21:00 Uhr
Ein bleicher, weißer Fotograf kratzt sich am Kopf. „Hat er
ein Taxameter?“, denkt sich der Schwabe kopfschüttelnd. Um ihn herum tobt die
Menge und feiert ihren namibischen Box-Henker. „Jetzt lachen sie noch“,
sinniert der Süddeutsche. „Die sind wohl noch nie in seinem Taxi gelandet.“
… Einschub …
… Einschub …
Zu Boden gebracht: Herausforderer hat Allan Kamote (TAN) gegen Blue Machine Indongo (NAM) wenig Chancen |
… die Analyse der Ausweglosigkeit …
- Steigst du aus, machst du dich a) lächerlich („Was ist das für ein Typ? Steigt ein und wieder aus … peinlich“) und/oder b) der Executioner wird sauer, weil ihm sein Geschäft durch die Lappen geht. Dann kann es gut sein, dass er, nachdem du ausgestiegen bist, seinem Hauptberuf nachgeht und dir gehörig eins auf den Deckel gibt. Fazit: schlechte Chancen für Normalsterbliche
- Du sagst ihm wo du hin willst. So ungefähr. Nicht die genaue Adresse, weil sonst weiß er, wo dein Haus wohnt. Das möchtest du auch nicht. Er fährt und du sagst keinen Ton. Jede falsche Bemerkung könnte er gegen dich verwenden – psychisch wie physisch. Angekommen, fragst du ihn höflichst nach dem Preis und auch wenn dieser viel zu hoch (auf schwäbisch: n paar Cent mehr) ist, bezahlst du ohne Murren. Fazit: sehr erfolgversprechend, allerdings muss man vom Ausstiegspunkt noch nach Hause laufen
- Pffff, ein dummer Boxer! Den steckst du rhetorisch und mit mehr Gehirnzellen ausgestattet in die Intellektuelle-Tasche. Du redest ihn in Grund und Boden. Erklärst ihm die neusten Techniken seines eigenen Sports und gibst dich als Experten aus. Boxen wurde damals in Europa erfunden – das macht dich zum Chef! Er Nichts! Vor deinem Gate angekommen wirfst du ihm seine 20 Tacken hin und machst dich schnell auf den Weg nach drinnen. Fazit: du bist angekommen. Glückwunsch! Ziel ist vorerst erreicht. Verfolgungswahn könnte allerdings folgen.
- Du benimmst dich wie ein waschechter Gauner. Ein Schwabe sondergleichen, wenn man so will. Dein Englisch schmückst du mit unübersetzbaren Ausdrücken wie „Everybody does as he pleases“ oder „What’s goes?!“. Am Ende bleibt dir nichts anderes übrig als dich über den Preis der Fahrt zu beschweren. Dann heißt es: Round 1, Fight! Fazit: Das ist ein richtiger Badass-Move, der viel Positives birgt. Du bekommst die Chance – im wahrsten Sinne des Wortes – um den Preis zu kämpfen. Kannst du der Erste sein? Kannst du den Henker schlagen?
- Ein netter Plausch hat noch keinem geschadet, denkst du dir.
Man sollte auch Henkern mit gewissem Respekt begegnen. Ein guter Vorsatz. Du
bemerkst, dass der Walter doch nicht ein solches Monstrum ist. Genial, ein neuer
Freund, der dich auch mal im Township beschützen kann. Aber das Fazit bleibt
negativ behaftet: Klasse! Du findest einen neuen Freund, aber das ist mit
enormen Pflichten verbunden. Willst du wirklich der Trainingseinladung
nachgehen? Kannst du dich mit deinen neuen Freunden bei Barschlägereien
behaupten?
… Zusammenfassung …
Es lässt sich sagen, dass der boxende Taxifahrer eine
ernstzunehmende Gefahr für den Schwaben darstellt. Fast so schlimm wie spontane
Preisstürze, auf die man sich nicht richtig vorbereiten kann. Wer kennt das
Gefühl nicht, wenn man tags zuvor einen Schlussverkauf verballert hat und Gerda
und Herbert aus Westerheim im Bus zur Arbeit von „70% und mehr“ schwärmen? Man
fühlt sich verfolgt. Schaut in jede Gasse, um dort einen Flohmarkt zu finden.
Schnäppchenangebote verfolgen dich im Schlaf. So geht es mir, wenn ich in
dieser Stadt nach einem Taxi Ausschau halte. Überall sehe ich Walter
Kautondokwa. Wahlweise mit Boxhandschuhen oder mit Fleischerhaken. Ich habe
wohl nur eine Chance meine Situation zu verbessern. Ich muss mich dem „Executioner“
stellen und den Fluch bekämpfen oder Schnäppchen finden, die so billig sind,
dass ich bei der nächsten Fahrt nicht das Verlangen nach Preisverhandlungen
habe.
Ende |
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