Wieder einen Schritt nach vorne. Einen Babyschritt, um genau zu sein. Pinguin ähnlich marschiert die Masse vorwärts. Seit über zehn Minuten starrt sie nach oben auf den immer gleichen Bildschirm. Dieser erklärt, wie man sich verhalten soll, falls das Ziel irgendwann erreicht wird. Immer in Zweierpärchen in die ausgewiesenen Reihen, lose Objekte wie Brillen sichern oder abnehmen, Handys aus den Taschen, Gurt eng festschnallen – der Park übernimmt kein Gewähr für Verlorenes.
„Wenn man immer zu zweit sitzen soll, wer sitzt dann neben Papa?“, fragt ein offensichtliches Einzelkind in der Schlange seine Erziehungsberechtigten. „Irgendwo kriegen die schon einen her“, lautet die barsche Antwort. Über 30 Minuten Wartezeit für nur 90 Sekunden Spaß? Eine Gleichung, die an der guten Laune nagt.
Generation achterbahnunfähig
Auch ich stehe eines schönen Tages im Europapark in der Wartschlange eines blauen Fahrgeschäfts, dessen Namen ich aus werbetechnischen Gründen nicht nennen darf und will. Nach moderater Zeit in der Masse treffe ich auf den Einweiser. Da stimmt doch etwas nicht. Er schaut mich verdutzt an und ich ahne – dank dem Einweisungsvideo auf den Monitoren – meinen Fehler.
Ich bin ungerade. Ich bin das einzige Rad am Wagen. Ich bringe das Universum der Zweierreihen komplett aus den Fugen. Trotzig stand ich in der Masse und hoffte, – wie so oft – dass der Zufall mir einen Seelenverwandten vor die Nase setzt. Passiert nicht. Unbehagen macht sich breit. Soll es durch mein Unvermögen einen Partner aufzutreiben etwa dazu kommen, dass die Achterbahn nicht ausbalanciert ist und die Fahrt gecancelt werden muss? Bringt mein chronisches Singledarsein den Spaß der anderen in Gefahr. Generation achterbahnunfähig?
„Reihe fünf, bitte!“ Reihe fünf? Darf ich doch mitfahren? Hinter und vor mir standen keine weiteren Ungeraden. Das hatte ich während der Wartezeit schon analysiert und stand dennoch voller Hoffnung und Eigensinn weiter an. Ein Wunder? Ja, der Einweiser zaubert mir aus dem Nichts eine Partnerin. Diese hilft mir bei all den Dingen, die ich aufgrund meiner Nervosität den anderen den Spaß zu verderben, vom Einweisungsvideo vergessen habe. Handy hier, Gurt da und nach dem zweiten Looping kommt die Merchandise-Fotokamera auf der linken Seite. Reinschauen und einen Move machen. Kommt gut.
Wer ist diese Proette? Diese Heldin, die aus dem Nichts meine Achterbahnfahrt rettet? Zum Small Talk bleibt keine Zeit. 90 Sekunden im Flug und voller Spaß. Danach bin ich glücklicher als jemals zuvor... im Europapark! Als ich nach der Fahrt meine Gedanken halbwegs geordnet habe, will ich mich bei der Heldin erkundigen, ob es wehtat als sie vom Achterbahnhimmel fiel. Die aber ist schon wieder auf dem Sprung. Wohl einen weiteren Verfehlten retten. Ich haste ihr hinterher, aber der Fischburger von vorher an der Ecke tut mir nicht gut. Krämpfe. Völlig außer Atem vernehme ich nur noch ihr wehendes Haar, das in einem Geheimgang mit der Aufschrift „Single Rider“ verschwindet.
Im Verborgenen
So startet mein Anankasmus für Single Rider. Aufgrund des Wassertierschmauses brauche ich einige Zeit bis ich mich selbst in den Geheimgang wage. Ohne Recherche und nur auf meine Intuition vertrauend, dass ich ebenfalls Leute vor dem retten kann, was mir Minuten zuvor selbst blühte. Die erste Eigenart, die mir auffällt ist, dass der Single Rider wahrlich eine rare Spezies zu sein scheint. Statt der halben Stunde, die man auf der anderen Seite warten muss, geht es hier fix. Fünf Minuten später bin ich wieder an Bord und komplettierte eine Dreier-Gruppe – Vater, Tochter, Mutter. Im Fachjargon nennen Single Rider das „Pauschalies“. 90 Sekunden und eine
Nick-Young-Game-Winner-gegen-Spurs-Pose für die Merch-Kamera später ist mir der Mitfahrer allerdings überhaupt nicht dankbar für mein Beisein. Keinen Dank für die Fahrt. Keinen Dank fürs Balancieren. Nicht eines Blickes würdigt er seinen Single Rider, der ihm hier im Grunde alles ermöglicht.
Mir wird schalgartig klar, warum es so wenig Single Rider gibt. Man hat kein Team, das dich zum erneuten Fahrvergnügen motiviert. Man hat keinen, mit dem man Erfahrungen teilt. Man bekommt keinen Ruhm, wie die Gruppen, die Fotos von sich in coolen Posen kaufen und diese auf diversen sozialen Medien posten.
Man gehört schlicht nicht dazu. Klare Abstriche, die das Heldentum mit sich bringt.
Nur wenige Eingeweihte
Fernab vom Mainstream-Media-Sumpf tut der Single Rider Gutes ohne groß beachtet zu werden. Ich bin einer der wenigen Eingeweihten, denen das klar wurde, weil ich am Anfang alleine unterwegs war. Ich war der Auserwählte, dem auffällt, dass es diese vergessenen Helden überhaupt gibt. Gruppen, die in ungeraden Zahlen fahren, machen sich nämlich nicht viel aus dem vierten, sechsten oder was der geraden Zahlen mehr sind im Bunde. Er ist einfach da und wieder weg. Man braucht ihn nicht, um in Erinnerungen zu schwelgen. Dafür hat man die Gemeinschaft der eigenen Reisegruppe.
Nach weiteren Fahrten bin ich in unserer illustren Gruppe angekommen und kann sagen: Single Rider untereinander respektieren sich logischerweise für die Opfer, die sie bringen. Der Einweiser an der Schranke weiß ebenfalls um die Bürde unserer kleinen Belegschaft. Ein kleines Zwinkern hier, ein Kopfnicken da. Bei den restlichen Besuchern – Pauschalies, Junkies, Noobies, Girlies oder wer auch immer – geht die Relevanz der Alleinfahrer schlicht unter.
Die geringe Wertschätzung der anderen Gäste hält mich in meiner Mission den Roller-Coaster-Kosmos in Balance zu halten nicht ab. So fahre ich unzählige Male überall da, wo es gerade Reihen gibt. Ich kann die Namen aller Fahrgeschäfte, die ich ansteuerte, gar nicht mehr nennen so viel bin ich unterwegs. Stundenlang fahre ich zwar ruhmlos, aber leiste meinen großmütigen Teil.
Unerkannt, still und leise. Danach mache ich mich auf den Weg zu unserem F.A.Z.-Fachverlag-Company-Event, für das ich eigentlich hier im Park bin und auf dem ich arbeiten muss. Ausgelaugt von meiner Tätigkeit als Single Rider moderiere ich meinen Panel unglaublich schlecht. In unserer WhatsApp-Gruppe posten tags darauf die Kollegen ein Bild von ihrer Achterbahnfahrt. Nebeneinander, in trauter Zweisamkeit. Virtueller Jubel über die heroische Fahrt brandet auf dem Bildschirm meines Handys auf. Ich kommentiere nicht. Tröste mich aber damit: Sie hatten lediglich Zeit eine Fahrt zu machen.